"Leitkultur" und die deutsche Sprache

(-11- 29.11.2000) - Es ist erstaunlich, mit welcher Verbissenheit in Politik und Gesellschaft in den letzten Monaten eine Diskussion um den Begriff "Leitkultur" geführt worden ist und noch immer geführt wird. Entstanden in der Diskussion um Ausländerfeindlichkeit, Fremdenhaß, Einwanderungsland und doppelte Staatsangehörigkeit vertreten die einen die Meinung, bei alledem dürfe man die deutsche Kultur und die deutschen Eigenheiten nicht aus den Augen verlieren, während die anderen meinen, man müsse sich "öffnen", die fremden Kulturen akzeptieren, unbeschränkt Ausländer ins Land lassen und ihnen auch zu einer doppelten Staatsangehörigkeit verhelfen. Erstere sind die, die Nationalstolz haben (die anderen sind "multikulturell" und lehnen den Begriff ab), die kulturellen Eigenheiten behalten und bewahren und diese Begriffe also zum Leitfaden ihres Tun und Handelns machen möchten - eben zur "Leitkultur". Und sie verlangen dabei, daß alle "Ausländer", die nach Deutschland kommen wollen, diese Kultur achten, wenn sie schon in Deutschland leben möchten. Anders ausgedrückt: Die "Fremden" sollen sich in Deutschland nicht abschotten, sie sollen sich vielmehr integrieren, mit den Deutschen leben und nicht neben ihnen.

Die Gegner dieser Überlegungen sind nicht nur gegen den Begriff, sondern auch gegen den begrifflichen Inhalt. Ihnen ist nicht oder kaum bewußt (auch ahnen sie es nicht einmal), daß sie auf dem besten Wege sind, sich selbst zu verraten und aufzugeben. Sie wollen eben keine Nationalitäten und auch keine eigene Kultur. Sich öffnen, ja nicht den Anschein erwecken, man habe etwas gegen Fremdheit, andere Nationen und deren Bürger - sie machen sich dabei fast in die Hosen und sehen hinter alldem Fremdenhaß und Ausländerfeindlichkeit, Rassenhaß und Rechtsextremismus - sie haben kein Selbstbewußtsein und verlieren ihre Würde! Ich möchte wetten, daß das Wort "Leitkultur" zum Unwort des Jahres werden wird.

Deutschland ist auf dem besten Wege, seine eigene Identität zu verlieren. Wie weit das schon gediehen ist, erkennen wir an den vielen Wörtern aus anderen Sprachen, die in Deutschland tagtäglich benutzt werden, ohne groß darüber nachzudenken oder ein Wort aus der deutschen Sprache zu benutzen. Irgendwann können wir die deutsche Sprache vergessen und nur noch englisch reden - für mich eine Horrorvorstellung.

Aus einem einzigen Prospekt der Kaufhof AG. über Bekleidung habe ich folgende Begriffe entnommen: Cardigans, Blazer, Top, Shorts, Twinset, Palazzo-Hosen, Pants, Cargo-Pants, Cargo-Jeans, Leggins, Sweatshirts, Bustier, Sleepshirt, Shorty, Retro-Shorts, Windbreaker, String, Outdoor-Jacke, Zipp-away-Hose und Runningschuh. Ich versage mir, den Versuch zu unternehmen, alles zu "übersetzen"; ich finde es zum kotzen!- Aber auch auf anderen Gebieten - vornehmlich im Sport und bei Sportartikeln - können wir uns fremder Begriffe "erfreuen". Wer kennt nicht aus der Formel 1 die Hinweise auf Qualifying, Warm-up, Pole-Position, Boliden und Piloten (letzteres verbindet mich nur mit Luftfahrzeugen). Wissen Sie was ein Kickboard, ein Sideboard oder ein Skateboard ist oder auch Inlineskates? Da ist die Rede von Bobby-Cars, Swing-Carts und von Rope-Skipping, von Halfpipe und Street-Parcours, von Inline-Hockey und von Speedskaten. Wichtig ist auch die Beherrschung des Double-Kneeing. Jede Fan-Gemeinde hat ihren local-hero, der auch ein global player sein könnte. Also auf: Back to the roots.

Da grüße ich doch lieber alle mit dem bekannten Goethe-Zitat aus "Götz von Berlichingen" - das ist wenigstens deutsch!

Nachtrag 1:

(11.02.2001) -  Andererseits paßt ein Leserbrief gut zu diesem Thema, der von einem mir Bekannten am 28.12.2000 in der Rhein-Zeitung erschienen ist. Er meinte, wenn Politiker, Spitzensportler, Funktionäre und Promis ein Spiegelbild unerer Bevölkerung darstellen und damit auch Vor- oder Leitbilder für unsere Kinder und Jugendlichen sind, dann könne man nur sagen "Armes Deutschland"; denn es gehöre künftig zur deutschen Leitkultur, daß man  mindestens viermal geschieden sein, mindestens drei uneheliche Kinder haben und regelmäßig Drogen konsumieren muß. Und daß darüber hinaus die Prostitution nicht mehr sittenwidrig, Korruption und Steuerhinterziehung nicht mehr unehrenhaft ist und schließlich die Homo-Ehe als alternative Familie angesehen werden müsse.

Recht hat er mit seiner Aussage. Bestätigt wird sie durch drei Prominente, die sich in den letzten Tagen und Wochen "geoutet" haben.Danach scheint es für diese "Vorbilder" das normalste der Welt zu sein, sich damit zu brüsten, daß sie - obwohl verheiratet - jeweils ein uneheliches Kind haben. Ein Kavaliersdelikt gewissermaßen. Ich denke hierbei an Boris Becker, der gerade geschieden und mit seiner "Neuen", Sabrina Setlur, fleißig durch die Welt turtelnd, von einer anderen Seite hart getroffen wurde. Der Gentest hat ihn jedenfalls als Vater der kleinen Anna ermittelt, die er angeblich in der Besenkammer eines Londoner Hotels bei der flüchtigen Begegnung mit der Russin Angela Ermakowa gezeugt hat, als er noch verheiratet war. Und Franz Beckenbauer (die lebende Leitkultur des FC Bayen München) zeigte sich ganz überrascht - aber auch erfreut - daß er es in seinem Alter noch nicht verlernt hat, ein (außereheliches) Kind zu zeugen, was ihm seine Ehefrau natürlich "gern" verziehen hat. Und schließlich ist es der Unterhalter Roberto Blanco, der damit prahlt, sich mit einem außerehelichen Kind gern in die Reihe der ehrenwerten Vorbilder Boris Becker und Franz Beckenbauer einreihen zu dürfen. Privat mag das alles ja noch angehen - und niemand soll sich über einen anderen erheben; denn keiner ist ohne Fehler. Aber solche in der Öffentlichkeit stehenden Personen als Vorbilder hinzustellen, das geht zu weit

Denn auf solche Vorbilder möchte ich gern verzichten!

Nachtrag 2:

(08.06.2001) - Seltsam mutet es an, was nunmehr auch das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in Düsseldorf von sich gibt: "Wer den Rassismus kritisiert, sollte deshalb auf den eigenen Sprachgebrauch und den der anderen achten." Soweit so gut! Ausdrücke wie "Gastarbeiter", "Ausländer" sollten besser nicht mehr verwendet werden. Das ist ja lächerlich. Wie bitte schön, soll man denn einen Ausländer oder Gastarbeiter anders nennen, wenn er Ausländer oder Gastarbeiter ist? Sind wir schon so weit von der Realität entfernt, daß wir die Dinge nicht mehr beim (richtigen) Namen nennen sollen oder dürfen.

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